Anfang der 70er Jahre wurde das alte Opiumgesetz aus den 20er Jahren durch ein neues Gesetz, das Betäubungsmittelgesetz, ersetzt. Bei der Gesamtbetrachtung der historischen Entwicklung vom Opiumgesetz zum Betäubungsmittelgesetz ist zu beachten, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht frei ist, welche Ziele sie im Bereich der Drogenpolitik verfolgen will. Sie ist vielmehr durch eine Reihe von Übereinkommen im Rahmen der Vereinten Nationen (UNO) gebunden. Es handelt sich hierbei um das Einheits-Übereinkommen vom 30. März 1961 über Suchtstoffe in der Fassung des Protokolls vom 25. März 1972 zur Änderung des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe (sogenannte Single-Convention) und um das Übereinkommen vom 21. Februar 1971 über psychotrope Stoffe.
Insbesondere die „Single Convention on Narcotic Drugs“ hat dabei Anteil am repressiven Charakter des BtMG.
Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber im Dezember 1971 das Opiumgesetz von 1929, welches vor allem die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit Opium, Morphium und anderen Betäubungsmitteln regelte, durch ein neues „Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz, BtMG)“ ersetzt. Dem Gesetz, das am 10. Januar 1972 nach redaktionellen Änderungen neu bekannt gegeben wurde, liegt eine stärker gefächerte Klassifizierung der Straftatbestände zugrunde. Das bedeutet, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers jedem Tat-Typus eine Sanktionsstufe zugeordnet werden kann, wobei die Höchststrafe im Vergleich zum Vorgänger Opiumgesetz von drei auf zehn Jahre heraufgesetzt wurde.
Der Staat Deutschland reagierte auf die kulturellen und politischen Ereignisse der späten 60er und frühen 70er Jahre mit einer Intensivierung der Drogenrepression. Dies zeigt sich in der jährlichen Verdoppelung der Deliktzahlen. Die gestiegene Deliktmenge war dann Grundlage für die Einführung des neuen Betäubungsmittelgesetzes an Weihnachten 1971.
Nach Einführung des neuen Gesetzes verdoppelte sich die Zahl der Tatverdächtigen innerhalb von acht Jahren. 1979 wurden bereits mehr als 50.000 Delikte aktenkundig. Die Zeitspanne bis zur nächsten Verdoppelung betrug 11 Jahre. Im Jahr 1990 wurden erstmalig über 100.000 Delikte von der Polizei registriert. Mit größerer Verbreitung Die Abbildung zeigt in Prozentwerten die Relation der allgemeinen Verstöße zu allen BtMG-Delikten als Zeitreihe von 1971 bis 2016. Datenquelle: BKA Wiesbaden.der Technokultur wuchs auch der Repressionskoeffizient (Maß oder Intensität der Unterdrückung) schneller. Innerhalb von nur sieben Jahren war bereits wieder eine Verdoppelung erreicht. 1997 meldete die Polizei erstmals über 200.000 Delikte.
Tatverdächtige Zeitreihe: Verstoß gegen das Opiumgesetz und das BtMG
Wegen der Änderung des staatlichen Bereiches sind die Daten seit 1991 mit denen der Vorjahre nur bedingt vergleichbar. Die Zahlen bis 1990 beinhalten die Tatverdächtigen der alten Bundesländer einschließlich West-Berlin, die Zahlen der Jahre 1991 und 1992 beinhalten die Tatverdächtigen der alten Bundesländer einschließlich Gesamt-Berlin, in den Zahlen ab 1993 sind die Tatverdächtigen aller Bundesländer enthalten. Diese Angaben sind auch bei allen folgenden Abbildungen zu berücksichtigen.
Bis 1966 lag die Zahl der jährlich erfassten Tatverdächtigen wegen Verstoßes gegen das Opiumgesetz in der Bundesrepublik Deutschland (einschließlich West-Berlin) deutlich unter Eintausend. Erst 1967, dem Jahr in dem Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen wurde, registrierten die Behörden über 1.000 Tatverdächtige. Vier Jahre später registrierten die Behörden bereits über 20.000 Tatverdächtige.
Ein Tatverdächtiger, für den im Berichtszeitraum mehrere Fälle der gleichen Straftat in einem Bundesland festgestellt wurden, wird nur einmal gezählt. Vor 1983 waren Personen, gegen die im Berichtsjahr mehrfach ermittelt wurde, immer wieder erneut gezählt worden. Wegen Ablösung dieser Mehrfachzählung, die zu stark überhöhten und strukturell verzerrten Tatverdächtigenzahlen führte, durch die jetzige „echte“ Zählung, ist ein Vergleich zu früheren Jahren nur eingeschränkt möglich.
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verdoppelte sich die Zahl der Tatverdächtigen und erreichte in der Folge im Jahr 2004 mit 232.502 einen absoluten Spitzenwert. Danach sank die Zahl kontinuierlich bis 2010 und danach stieg sie wieder kontinuierlich an und überflügelte 2016 erstmals die Anzahl von 2004 und erreichte den historischen Spitzenwert mit 245.731 Tatverdächtigen. Auch im Jahr 2017 stieg die Zahl der registrierten Tatverdächtigen deutlich auf 263.255, was einer Zunahme um 7,1 Prozent innert Jahresfrist entspricht.
Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) greift in das Leben aller Bürger ein und bleibt doch für viele unsichtbar. Die folgenden Dokumente sollen einen Einblick über das tatsächliche Ausmaß staatlicher Eingriffe im Rahmen der Drogenbekämpfung geben. Sie beschäftigen sich insbesondere mit den Delikten jugendlicher Tatverdächtiger und gehen der Frage nach, wie hoch der Anteil der konsumbezogenen Drogentaten ist.
Alle Menschen die sich in Deutschland aufhalten unterliegen unabhängig von ihrer Herkunft den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Obschon das BtMG auf vielfache Weise in unseren Alltag eingreift, haben die Wenigsten je einen Blick hinein geworfen.
Die folgenden Artikel geben einen Einblick in die Regelungswut deutscher Drogenpolitiker und werfen Licht auf Fehlentwicklungen, die allzugern verschwiegen werden.
Mit Ausnahme des letzten Abschnittes zum Gesetz betreffend Cannabis als Medizin (BGBl I 2017 S. 403) , das am 10. März 2017 in Kraft trat, zeigt dieser Artikel die Situation auf, wie sie vom OrgaTeam der Hanfparade empfunden wurde, bevor dieses neue Gesetz in Kraft trat. Die ersten Abschnitte des Artikels wurden am 4. Januar 2010 auf der Website der Hanfparade veröffentlicht und zeigen eine Art von historischer Retrospektive. Die Forderung der Legalisierung von Cannabis als Medizin gehörte von Anbeginn an (1997) zu den Hauptforderungen der Hanfparade.
Diese Forderung hat im Jahr 2017 Gehör gefunden und ihr wurde am 10. Februar 2017 im Deutschen Bundestag einstimmig stattgegeben. So dürfen alle Teilnehmer/innen der Hanfparade auch ein wenig stolz sein, weil sie mit Ihrer Anwesenheit diese Forderung mit unterstützt haben und inzwischen Tausende von Patienten die von ihnen benötigte Medikation legal und auf Kosten der Krankenkassen bekommen.
Cannabispflanzen sind ein Heilmittel
Im Jahr 1977 wurde das neue Arzneimittelgesetz (AMG) in Deutschland eingeführt, dass hinsichtlich Wirksamkeitsnachweis und Unbedenklichkeit besondere Anforderungen an neue Medikamente stellt. Alle zu diesem Zeitpunkt auf dem Markt befindlichen Präparate erhielten eine Übergangsfrist bis zum Jahre 2004. Tausende von synthetischen und natürlichen Präparaten, die sich 1977 auf dem Markt befanden, mussten Nachzulassungsverfahren durchlaufen, um in Deutschland auch nach dem Jahr 2004 weiterhin als Medikament Verwendung zu finden.
Cannabis gehörte nicht dazu, da 1997 keine Cannabispräparate auf dem Markt waren – diese wurden mit dem Betäubungsmittelgesetz von 1971 verboten. Cannabis wird nach dem AMG heute als ein neuartiges Arzneimittel behandelt, obwohl Cannabis kein neuartiges Arzneimittel ist und die Nutzung von Cannabis als Heilmittel seit Jahrtausenden dokumentiert ist. Mit dem heutigen Wissen über das arzneiliche Potential der Hanfpflanze wären die Cannabispräparate 1971 sicherlich nicht verboten worden und Cannabiszubereitungen hätten vermutlich ihre Zulassungen behalten.
Cannabiswirkstoffe als Medizin
Mit der 10. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung (10. BtMÄndV), die am 1. Februar 1998 in Kraft getreten ist, wurde Dronabinol (Delta-9-THC) neu in die Anlage III (verschreibungsfähige und verkehrsfähige Stoffe) des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) aufgenommen. Damit war diese rein synthetisch hergestellte stereochemische Form des Cannabiswirkstoffes Delta-9-THC durch Ärzte verschreibbar, obwohl in der Bundesrepublik Deutschland ein entsprechendes Arzneimittel noch nicht zum Verkehr zugelassen ist. Diese neue Regelung ermöglichte jedoch das Verschreiben von ausländischen Präparaten, so beispielsweise das mit diesem Wirkstoff in den USA zugelassene Arzneimittel Marinol®. Cannabis selbst blieb weiterhin in der Anlage I der nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel. Das Verschreiben pflanzlicher Cannabisprodukte blieb somit weiterhin verboten und um dem Eigenanbau von Cannabis besser entgegenwirken zu können, wurden die Samen der Hanfpflanze (wenn sie zum unerlaubten Anbau bestimmt sind, wobei jeder Anbau erlaubnispflichtig ist) erstmalig mit der 10. BtMÄndV in die Liste der verbotenen Substanzen (Anlage I) aufgenommen. Teure künstlich hergestellte Arzneimittel der Pharmaindustrie wie Marinol® wurden mit der 10. BtMÄndV erlaubt, preiswerte Naturprodukte (mit absolut gleichartigen Inhaltsstoffen) blieben jedoch verboten, ja das Verbot wurde mit derselben Verordnung noch verschärft.
Die Wirkungsweise von Dronabinol ist der von Cannabis sehr ähnlich, es wirkt sedierend (beruhigend), spasmolytisch (krampflösend), appetitsteigernd, antiemetisch (brechreizlindernd), stimmungsaufhellend, schmerzlindernd und verstärkt die schmerzlindernde Wirkung von Opioiden. Daneben hat es auch einen den Augeninnendruck senkenden Effekt. Arzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol können die Behandlungsmöglichkeiten von Patienten mit Krebs, AIDS, Mobrus Crohn oder auch Multiple Sklerose im Einzelfall wesentlich verbessern. Für diese Patienten brachte die Verschreibungsmöglichkeit von Dronabinol zum Teil eine ganz erhebliche Verbesserung der Lebensqualität. Da jedoch nicht alle Krankenkassen die Kosten für Dronabinol übernehmen, können nicht alle Patienten in den segensreichen Genuss dieses Arzneimittels gelangen und müssen – wenn sie die hohen Kosten nicht bezahlen können – je nach Situation im Einzelfall, weiter leiden.
Erste Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht
Ein paar Patienten wollten diese Art von Zwei-Klassen-Medizin nicht hinnehmen und wollten – um sich Linderung zu verschaffen – Cannabis zur Selbstmedikation anbauen. Da dies in Deutschland nicht erlaubt ist, legten sie gemeinsam gegen dieses ihrer Meinung nach verfassungswidrige Verbot beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde ein.
Das Bundesverfassungsgericht hatte jedoch die Beschwerden in einem Beschluss vom 20. Januar 2000, der am 8. Februar veröffentlicht wurde, nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg nicht erschöpft gewesen sei. Das Verfassungsgericht hatte darauf hingewiesen, dass die Patienten versuchen könnten, eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG zu erlangen. Sie könnten nicht ohne weiteres davon ausgehen, ein solcher Antrag habe keine Aussicht auf Erfolg. Denn auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung sei ein öffentlicher Zweck, der auch im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis rechtfertigen könne. Zwar stehe die Erteilung einer solchen Erlaubnis im Ermessen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte; jedoch haben Antragsteller einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Eine solche Entscheidung sei zudem gerichtlich überprüfbar.
Petitionsausschuss des Bundestages für Cannabis als Medizin
Am 28. Juni 2000 befürwortete der 29-köpfige Petitionsausschuss des Bundestages eine Petition der Selbsthilfegruppe Cannabis als Medizin in Berlin und der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM für die Möglichkeit einer medizinischen Verwendung natürlicher Cannabisprodukte und einzelner Cannabinoide. Damit trat erstmals eine Institution des Bundestages mehrheitlich für eine Abgabe von Cannabisprodukten an Kranke ein.
Mit den Stimmen der Ausschussmitglieder von PDS (Sozialisten), Grünen und SPD (Sozialdemokraten), gegen die Stimmen der CDU/CSU (Christdemokraten) und bei Enthaltung der FDP (Freiheitliche) wurde die Petition an die Bundesregierung „zur Berücksichtigung überwiesen„, weil das vorgebrachte Anliegen begründet und Abhilfe notwendig sei. Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass Cannabis vielen Erkrankten hilft, „ihre Erkrankungen zu heilen bzw. zu lindern und ihr Leben wieder lebenswert zu gestalten„.
Sytematische Ablehnung von Anträgen
Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. Januar 2000 reichten über 100 Patienten einen Antrag für eine Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein. In den Anträgen wurde auf den Zweck des BtMG hingewiesen: „… Zweck dieses Gesetzes [ist ] die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen …“ (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Die Anträge wurden teilweise unter Mitwirkung von Ärzten, Pharmazeuten und Juristen verfasst und widerspiegeln einem hohen Stand der Kenntnis aus der medizinischen Wissenschaft wie auch aus dem Rechtswesen.
Die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit Cannabis (als Arzneimittel) ist ordnungsgemäß nach Ansicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nur möglich, wenn die derzeit gültigen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Danach müssen reproduzierbare Qualität (konstanter Wirkstoffgehalt), Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der eingesetzten Arzneimittel wissenschaftlich nachgewiesen und regelmäßig überprüft werden. Da bei Cannabis, das von den Patienten selbst angebaut wird, diese Vorgaben nicht erfüllt werden, hat das Bundesinstitut die Anwendung von derartigen ungeprüften Produkten für arzneiliche Zwecke nicht erlaubt und alle von den Patienten eingereichten Anträge für eine Erlaubnis abgelehnt.
Gerichte erlauben Anbau von Cannabis
Obwohl das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bisher alle eingereichten Anträge für eine Erlaubnis zur Kultivierung von Cannabis zum Zweck der Selbstmedikation abgelehnt hat, erlaubte am 27. November 2003 ein Gericht in Berlin einem Kranken den Anbau und die Verwendung von Cannabis als Arzneimittel, da das Gericht aufgrund der ärztlichen Gutachten keine gleichwertige Alternative zur Behandlung seiner Krankheit sehen konnte. Das Gericht kam zur Überzeugung und urteilte, dass sich der angeklagte Patient in einer Notstandslage befunden habe und die medizinische Verwendung von Cannabis daher gerechtfertigt gewesen sei. Da kein anderes Medikament bei dem Patient eine so hohe therapeutische Wirkung erzielt wie Cannabis, erhielt dieser Patient, der an einer entzündlichen Erkrankung des Darms (Morbus Crohn) leidet, eine richterliche Erlaubnis zum Anbau und zu Verwendung von Cannabis. Der Staatsanwalt verzichtete darauf, Berufung einzulegen. Damit ist das Urteil rechtskräftig und zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren darf ein Patient in Deutschland Cannabis zu medizinischen Zwecken selbst anbauen und zum Wohl seiner Gesundheit konsumieren (AZ: 1 Ss 273/02).
Am 15. Mai 2003 wurde erstmals ein Patient, der Cannabis in seiner Wohnung anbaute und dann zu medizinischen Zwecken konsumierte und deswegen angeklagt war, von einem deutschen Gericht freigesprochen. Richter Bauer vom Amtsgericht Mannheim erklärte nach Anhörung zweier medizinischer Sachverständiger, es habe eine Notstandslage vorgelegen. Die Verwendung von Cannabis sei daher unter den konkreten Umständen gerechtfertigt gewesen. Der Patient hatte vergeblich versucht, für eine Behandlung mit dem Cannabiswirkstoff Dronabinol (Delta-9-THC) eine Kostenübernahme bei der Krankenkasse zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft hatte Berufung gegen diesen Freispruch eingelegt. Der Berufung wurde am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe am 24. Juni 2004 stattgegeben (AZ: 3 Ss 187/03).
Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM), konstatiert, dass in Deutschland zwar Dronabinol verschreibungsfähig sei und demnächst auch ein Cannabisextrakt verschreibungsfähig werden soll. Ohne eine Verpflichtung der Krankenkassen zur Übernahme der Behandlungskosten seien viele Patienten jedoch weiterhin auf die viel preiswerteren illegalen Cannabisprodukte angewiesen und somit auch weiterhin von Strafverfolgung bedroht. Damit diesen Patienten in Zukunft generell eine bessere Perspektive als heute geboten werden kann, muss in erster Linie das Betäubungsmittelgesetz geändert und der gegebenen Situation angepasst werden. Die Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin stellte hierzu den Vorschlag zur Aufnahme eines neuen Paragraphen in das Betäubungsmittelgesetz zur Diskussion, der sowohl Staatsanwälten als auch Richtern die Einstellung von Strafverfahren bei medizinischer Verwendung von Cannabis u.a. aus eigener Produktion ermöglichen soll. Dieser neue Paragraph 31b würde das Vorliegen einer ärztlichen Empfehlung als Bedingung für Straffreiheit enthalten.
Kölner Verwaltungsgericht entscheidet gegen Patienten
Das Kölner Verwaltungsgericht hat am 3. März 2004 die Klagen von 5 Patienten mit multipler Sklerose, Morbus Crohn und HIV abgewiesen, die eine Ausnahmeerlaubnis zur medizinischen Verwendung von Cannabis erhalten wollten, wie dies beispielsweise in Kanada möglich ist.
In Deutschland ist die Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn für Ausnahmeregelungen für Betäubungsmittel zuständig. Anträge sollen nach dem deutschen Gesetz aber nur genehmigt werden, wenn dies „wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“ dient. Viele Kranke haben aber dennoch in den letzten Jahren solche Anträge gestellt, da das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2000 darauf hingewiesen hatte, dass die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung auch im öffentlichen Interesse liege. Allerdings wurden sämtliche Anträge abgelehnt.
Fünf der Betroffenen haben daraufhin vor dem Verwaltungsgericht in Köln gegen diese Ablehnung geklagt und nun verloren. Das Gericht wies darauf hin, dass die Betroffenen Dronabinol (THC) verwenden könnten, um ihre Erkrankungen zu behandeln. Allerdings hatten die Krankenkassen eine Kostenübernahme für das Medikament bei diesen Patienten abgelehnt, während andere Kassen die Kosten durchaus erstatten.
Bundesverwaltungsgericht entscheidet zugunsten der Patienten
Am 19. Mai 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) im öffentlichen Interesse liegen kann, sofern sie der Sicherstellung der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung dient. Diese kann im Einzelfall auch den Einsatz von (nicht verschreibungsfähigen) Betäubungsmitteln zur individuellen therapeutischen Anwendung umfassen. Das für die Erteilung der erforderlichen Ausnahmegenehmigungen nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bezieht seine Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung unter Berücksichtigung der spezifischen therapeutischen Anwendung immer auf den konkreten jeweiligen Einzelfall.
Der Vertreter des Bundes beim Bundesverwaltungsgericht beteiligte sich am Verfahren. In Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit hielt er die Revision für unbegründet. Er teilte insbesondere die Auffassung des Verwaltungsgerichtes Köln, dass die Nutzung von Cannabis zum Zweck der Selbsttherapie keinen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erfülle, sondern ausschließlich dem individuellen Interesse des Klägers diene. Diese Auffassung teilte das Bundesverwaltungsgericht nicht, sondern betonte, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch ein öffentlicher Zweck sei, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis rechtfertigen könne. Das BtMG nenne die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung neben der Verhinderung des Betäubungsmittelmissbrauchs als Gesetzeszweck, deshalb dürfe das BfArM die Anträge nicht pauschal ablehnen (BverwG 3 C 17.04).
Das BfArM blockiert weiter
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat den Antragstellern auf eine Erlaubnis zur Verwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken am 5. Juli 2006 ein gleich lautendes Schreiben geschickt, in dem das Institut um weitere Angaben und Unterlagen bittet. Unter Verweis auf Paragraphen des Betäubungsmittelgesetzes werden von den Patienten Voraussetzungen erwartet, wie sie allenfalls von Apotheken oder pharmazeutischen Unternehmen erfüllt werden können.
So wird eine Aufbewahrung des Cannabis in Panzerschränken oder Räumen aus Stahlbeton und ein Nachweis über eine Sachkenntnis im Umgang mit Betäubungsmitteln verlangt. Sofern beabsichtigt sei, Cannabis zu importieren, so weist das BfArM darauf hin, dass für jede einzelne Einfuhr eine separate Importgenehmigung erforderlich sei.
Erste Erlaubnis des BfArM
Mit einem Schreiben vom 9. August 2007 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), einer Multiple-Sklerose-Patientin erstmals eine Ausnahmegenehmigung zur medizinischen Verwendung eines Cannabisextraktes erteilt. Die 51-jährige Patientin aus Baden-Württemberg hatte eine Ausnahmegenehmigung zum Import von Cannabis aus den Niederlanden beantragt, die Behörde hatte ihr jedoch die Verwendung eines Cannabisextraktes, der ab Ende August von pharmazeutischen Firmen aus Deutschland bereitgestellt werde, vorgeschlagen, obwohl der von der niederländischen Firma Bedrocan hergestellte Cannabis auf THC und CBD standardisiert ist, begründet das BfArM seine Haltung mit den „unbekannten bzw. variierenden“ Wirkstoffgehalten.
Bisher ist unklar, wie teuer der Extrakt sein wird, das BfArM hatte jedoch erklärt, er werde nur einen Bruchteil des Preises von reinem Dronabinol (THC) kosten. Weitere Patienten haben ebenfalls Anträge auf eine Ausnahmegenehmigung zum Import von Cannabis aus den Niederlanden oder zum Eigenanbau für den persönlichen Bedarf gestellt, beharren jedoch weiterhin auf ihren Anträgen, so dass in der kommenden Zeit mit gerichtlichen Auseinandersetzungen vor den Verwaltungsgerichten zu rechnen ist.
Am 9. Juli 2007 wurde hingegen ein Morbus-Crohn-Patient, dessen Antrag vom BfArM abgelehnt worden war, wegen des Imports von Cannabis in Untersuchungshaft genommen. Am 16. August 2007 wurde überdies ein Patient mit Hepatitis C zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr ohne Bewährung wegen Cannabisbesitzes verurteilt. Auch sein Antrag war vom BfArM in diesem Jahr abgelehnt worden, obwohl der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages in seinem Beschluss am 14. Dezember 2005 feststellte, dass es nicht sein könne, dass austherapierte Krebspatienten ihrem Schicksal überlassen werden und sie die teuren Medikamente, die allein ihnen noch ein menschenwürdiges Leben bereiten können, selbst bezahlen müssen. Das Bundesministerium für Gesundheit solle deshalb alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Regelung für alle schmerzgeplagten Betroffenen zu finden.
Weltweit fundamentalistische Cannabispolitik
Auf ihrem 50. Treffen vom 12. bis 16. März 2007 in Wien entschied sich die Suchtstoffkommission (CND), ein Gremium des Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (engl.: Economic and Social Council, ECOSOC ) gegen eine Umstufung von Dronabinol (THC), dem wichtigsten Wirkstoff von Cannabis, von der Klasse II in die Klasse III der Konvention zu psychotropen Substanzen von 1971, wie es das Expertenkomitee der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf seinem Treffen im Jahre 2006 empfohlen hatte.
Die WHO hatte festgestellt, dass die Substanz einen moderaten therapeutischen Nutzen besitzt, und dass aufgrund fortlaufender klinischer Forschung seine medizinische Verwendung wahrscheinlich zunehmen werde. Sie fand, dass die Klasse III passender sei und dass seine gegenwärtige Listung in Klasse II überholt sei. Die WHO schätzte das Missbrauchsrisiko für Dronabinol als sehr niedrig ein. Allerdings sprachen sich im Anmeldungsprozess für das CND-Treffen mehrere Länder – vor allem die USA – deutlich gegen eine Umstufung aus. Zudem hatte sich die Internationale Drogenkontrollbehörde (INCB) der UNO in ihrem jährlichen Bericht aus dem Jahre 2006 und im CND-Plenum gegen die WHO-Empfehlung ausgesprochen. Laut INCB gebe es Berichte von Missbrauch in einem Land, in dem es am meisten verschrieben werde – gemeint war die USA. Allerdings hatten die USA in ihrer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme zu Dronabinol an die WHO nur ein „niedriges Niveau an Diversion und Missbrauch“ angegeben.
In den mündlichen Stellungnahmen sprachen sich nur zwei der 15 Sprecher für die vorgeschlagene Umstufung aus. Mehrere Sprecher stellten die wissenschaftliche Basis der Empfehlung in Frage. Der Mangel an Unterstützung stellte einen bemerkenswerten Unterschied zu den schriftlichen Antworten dar, die die WHO in den vergangenen Monaten erhalten hatte, in denen 11 von 13 Ländern deutlich gemacht hatten, dass sie keine Einwände gegen die vorgeschlagene Umstufung hätten. Offenbar hatten die USA politischen Druck auf andere Teilnehmer des Treffens in Wien ausgeübt.
Cannabis als Medizin zulassen
Das BtMG ist ein Gesetz zur Regelung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln zum Wohle und gemäß den Bedürfnissen der Patienten. Doch für das BfArM scheint das BtMG in erster Linie ein Gesetz zur Verhinderung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln zu sein und offensichtlich wird beim BfArM die Verbotskultur (besser: Verbotsunkultur) höher bewertet als das Wohl der Patienten. Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, erklärte hierzu, dass es beschämend für ein zivilisiertes Land sei, dass es für diese Patienten keine andere Lösung finde, als sie wie Verbrecher zu behandeln und ins Gefängnis zu werfen.
Die fundamentalistische Prohibitionspolitik in der Bundesrepublik Deutschland nimmt billigend das Leiden von schwer kranken Patienten in Kauf und zeigt damit ihr wahres unmenschliches Gesicht, dass weit mehr von sadistischen Zügen als von Recht und Ethik geprägt ist. Weshalb gegen solche Rechtswidrigkeit nicht schnell und nachhaltig gerichtlicher Rechtsschutz mobilisiert werden kann, ist unerklärlich. An der Hanfparade protestieren wir gegen diese unmenschliche und rechtswidrige Politik und fordern, dass Cannabis für Patienten als Medizin zugelassen wird.
Ärzte in Deutschland können ab Freitag, 10. März 2017, für viele Krankheiten Cannabisblüten und -extrakte auf Rezept verschreiben, bei schweren Erkrankungen auch auf Kosten der Krankenkassen. Hierzu bemerkt der Deutsche Hanfverband (DHV) in seiner Pressemitteilung vom 9. März 2017: „Dieser Schritt stellt einen Meilenstein für alle Betroffenen und die gesamte Bewegung zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland dar. Nach jahrzehntelanger Ignoranz gegenüber dem Leiden von Patienten in Deutschland hat die Regierung endlich ein Einsehen. Dies geschieht jedoch nicht aus reiner Menschlichkeit. Die Regierung wollte damit auch das Recht auf Eigenanbau von Patienten verhindern, der ihnen von immer mehr deutschen Gerichten wegen ihrer Notsituation zugesprochen wurde.„
Bundestag votiert einstimmig für Cannabis als Medizin
Einstimmig hat der Bundestag am Donnerstag, 19. Januar 2017, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (18/8965) angenommen, wonach künftig schwerkranke Patienten auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung auch mit hochwertigen Cannabis-Arzneimitteln versorgt werden können. An der Abstimmung nahmen weniger als zehn Prozent der Abgeordneten teil.
Nachdem der Bundestag das Gesetz zur Verwendung von Cannabis als Medizin angenommen hatte, hat am 10. Februar 2017 auch der Bundesrat zugestimmt. Das Gesetz wurde dann am 9. März 2017 im Bundesgesetzblatt (BGBl I 2017 S. 403) veröffentlicht und tritt somit am 10. März 2017 in Kraft.
Der große Haken an der Sache
Franjo Grotenhermen, Geschäftsführer der Internationale Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente e.V. (IACM), vermeldete in den ACM-Mitteilungen vom 11. Februar 2017, dass das Gesetz allerdings einen großen Haken habe, wenn es um die Verschreibung dieser Medikamente zulasten der gesetzlichen Krankenkassen geht. Wörtlich heißt es in der Mitteilung: „Ärzte unterliegen einem so genannten Wirtschaftlichkeitsgebot und haben normalerweise ein begrenztes Arzneimittelbudget. Durch Patienten, die teure Medikamente verschrieben bekommen, wird dieses Budget überschritten. Das ist nur möglich, wenn diese Überschreitung im Einzelfall ausreichend begründet ist. Sonst bekommt der Arzt bzw. die Ärztin einen Regress und muss die zu Unrecht verschriebenen Medikamente aus eigener Tasche zurückzahlen. Das wird vermutlich zu einer erheblichen Verunsicherung und Zurückhaltung der Ärzte führen, wenn hier keine Klarstellung erfolgt, die solche Strafzahlungen ausschließt.„
Das neue Gesetz ist eine gute Sache, die vielen Betroffenen einen sicheren Zugang zu ihrem Medikament bietet und Deutschland zu einem der führenden Länder im Bereich Cannabis als Medizin machen wird. Doch die Krankenkassen zieren sich, wie man wenige Monate nach dem Inkraftreten des neuen Gesetzes feststellen musste. In nicht seltenen Fällen haben diese selbst Patienten, die bereits eine Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte für Cannabisblüten als Medizin haben, die Übernahme der Kosten erstmal verweigert. Für die Patienten bedeutet dies wieder einen enormen bürokratischen Aufwand bis hin zur Einschaltung von Rechtsanwälten, um an ihre Medizin zu gelangen. Für etliche Patienten geht auch mit dem neuen Gesetz der Leidensweg weiter. Gegen diese unwürdige Behandlung von schwer kranken Menschen wird auf den GMM-Demonstrationen protestiert.
Quellen
Hans Cousto: Richter ebnen den Weg für Cannabis als Medizin – Eine Analyse der medizinischen, juristischen und politischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland mit Urteilen und Beschlüssen verschiedener Gerichte zum Anbau und Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken. (Stand: Dezember 2003, PDF, 45 S.)