Einführung von Drug Checking jetzt!

Dieser Text ist ein Gastbeitrag der Drug Scouts aus Leipzig! Seit November 2007 ist bekannt, dass in Leipzig und Umgebung mit Blei versetztes Gras verkauft und geraucht worden ist. Weit über 500 CannabiskonsumentInnen haben inzwischen im Leipziger Gesundheitsamt ihr Blut auf Bleigehalt untersuchen lassen, mehr als ein Viertel von ihnen muss medizinisch behandelt werden. Lange Zeit herrschte auch unter medizinischen Fachleuten sehr viel Unsicherheit, da Bleivergiftungen hierzulande seit Jahren nicht mehr aufgetreten sind. Großer Bedarf an Aufklärung bestand auch unter den direkt Betroffenen sowie unter MitarbeiterInnen von Beratungsstellen, Krankenhäusern und Apotheken.

Gesundheitsschäden durch Blei im Gras

Viele User haben irreversible Schäden beispielsweise am Knochenmark, dem Nervensystem, der Gehirnzellen und/oder der Leber erlitten. Ihre Lebenserwartung ist stark verkürzt, bei manchen grenzt es an ein Wunder, dass sie ihre Bleivergiftung überlebt haben. Dass Cannabiskonsum neben positiven Effekten auf die Gesundheit vieler KonsumentInnen auch gewisse Gefahren in sich birgt, ist den meisten Usern bekannt. Doch mit derartigen – durch Streckmittel hervorgerufenen – Auswirkungen haben bisher die Wenigsten gerechnet. Dennoch: trotz aller Verbote und Verunsicherungen wird eine breite Bevölkerungsschicht aus verschiedenen Gründen weiterkiffen und sich mangels Alternativen den gesundheitlichen Gefahren des Schwarzmarktes aussetzen. Die Haltung des Bundesgesundheitsministeriums, wie eh und je den (moralischen) Zeigefinger zu erheben, ist deshalb keine Lösung. Gestrecktes Marihuana wurde in den vergangenen Jahren immer häufiger verkauft und konsumiert. Dabei hatten die Streckstoffe (z. B. Sand, Glas, Haarspray) die Funktion, die Gewinnspanne der HändlerInnen zu erhöhen, indem sie die Substanz beschwerten oder ihr Glanz verliehen, um so eine hohe Qualität vorzutäuschen. Blei bzw. Bleisulfid als Streckstoff ist ein neues Phänomen und eine alarmierende Entwicklung. Das Blei bzw. die Bleisulfidspäne sind in die Blüten regelrecht hinein gewachsen und wurden demnach bereits beim Anbau regelmäßig auf die Pflanzen aufgetragen. Die hohe Schadstoffkonzentration macht eine versehentliche Verunreinigung unwahrscheinlich. Beim Rauchen von mit Blei versetztem Gras gelangt das Metall aufgrund der hohen Temperaturen gasförmig oder flüssig in die Lunge, von dort direkt ins Blut und so in alle Regionen des Körpers. Es lagert sich in allen Geweben ab und wird in Knochen und Zähnen lebenslang gespeichert, da es vom Körper allein nicht ausgeschieden werden kann. Durch Infektionen und andere Umstände kann Blei wieder in den Blutkreislauf gelangen und so auch Monate oder Jahre nach dem Konsum zu akuten Bleivergiftungen führen. Im Prinzip genügt ein einmaliges Rauchen kontaminierter Rauchware, um erhöhte Bleiwerte oder eine Bleivergiftung zu bekommen, da die Konzentration des Bleis in im Leipziger Raum erhältlichen Cannabis extrem hoch und somit gesundheitsschädlich ist (40 bis 80 mg je Gramm Cannabis).

Symptome einer Bleivergiftung

Zu den Symptomen einer Bleivergiftung zählen u. a. krampfartige Bauchschmerzen, Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den Händen, Blässe, Antriebsschwäche, Blutarmut (Anämie) und viele weitere unspezifische Merkmale. Auch wenn es zu keinen äußerlich erkennbaren Symptomen kommt, können Gehirn, Nerven, Knochenmark und innere Organe geschädigt sein, was sich mitunter erst nach Jahren bemerkbar machen kann. Bei einer medikamentösen Therapie wird in der Regel ein Entgiftungspräparat verschrieben. Allerdings übernehmen noch immer manche Krankenkassen die Kosten für eine medizinische Behandlung zum Teil gar nicht, nur anteilig oder erst nach langem Hin und Her.

Die Bleigrasbroschüre der Drugscouts aus Leipzig

Wir haben schnell auf die Situation in Leipzig reagiert, indem wir Infos von verschiedenen Stellen (Gesundheitsämter, Polizei, Uniklinik, Krankenkasse, Usern, …) zusammengetragen und in Form einer Bleigrasbroschüre veröffentlicht haben. Diese enthält umfassende Infos in Form von Fragen, die an uns gestellt wurden bzw. die wir selbst entwickelt haben. Das betrifft Infos zum Aussehen des bleiverseuchten Marihuanas, Verbreitung, Symptomen akuter und chronischer Vergiftungen, Referenzwerten, Datenschutz, Testmöglichkeiten des Blutes bzw. der Substanz, Therapiemöglichkeiten, Kostenfragen etc. Unsere Bleigrasbroschüre wird permanent aktualisiert und verteilt. Zusätzlich wurde die Broschüre als pdf-Dokument auf der Seite veröffentlicht sowie über unseren und andere Newsletter verschickt, so dass Interessierte und Betroffene sie weiterleiten, selbst ausdrucken und sich informieren können. Darüber hinaus sind auf unserer Webseite in einer eigens dafür eingerichteten Rubrik zahlreiche Artikel zu verunreinigtem Cannabis sowie (weitere) Pressemeldungen zu finden.

Verhalten der Konsumenten

Viele User wendeten sich an uns, weil sie unsicher waren, wie sie sich gegenüber ÄrztInnen, MitarbeiterInnen des Gesundheitsamtes, der Krankenkassen oder der Polizei verhalten sollten. Dabei haben wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht – z.T. waren CannabiskonsumentInnen ernsthaft überrascht bzw. geschockt, welche Auswirkungen eine große Menge an aufgenommenem Blei auf ihren Körper haben kann. Auf der anderen Seite gibt es immer noch viele User, die die gesundheitlichen Beeinträchtigungen unterschätzen bzw. ausblenden („ich kiff schon so lange, ich seh, wenn da Blei drin ist“, „ich kenn meine Dealer, die würden mir so was nicht verkaufen“, „ich rauch durch die Bong, da wird das Blei rausgefiltert“, „das ist eh nicht mehr im Umlauf“). Schockiert haben uns die verachtenden und ignoranten Reaktionen einiger ÄrztInnen, PolitikerInnen sowie MitarbeiterInnen von Ämtern und Krankenkassen: User haben uns immer wieder berichtet, dass sie mit Aussagen wie „Du bist doch selbst schuld“, „wer kifft, muss mit so was rechnen“, „Menschen wie Du haben keine Unterstützung verdient“ etc. konfrontiert wurden. Diese Reaktionen zeigen deutlich, wie Millionen von KonsumentInnen illegalisierter Substanzen in der Bundesrepublik das Recht auf Gesundheitsschutz abgesprochen wird.

Drug-Checking

Die aktuellen Ereignisse zeigen einmal mehr, wie zwingend notwendig es ist, endlich die Möglichkeit für Drug-Checking zu schaffen: Ohne Sondergenehmigung machen sich Labore und Einzelpersonen strafbar, wenn sie Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes annehmen und diese auf ihre Inhaltsstoffe hin untersuchen. Bereits seit vielen Jahren fordern wir – u.a. gestützt durch eine europaweit durchgeführte Bedarfsanalyse unter DrogenkonsumentInnen, dass in Leipzig ein solches Programm etabliert wird. Bisher wurde seitens der Stadt Leipzig stets auf die fehlenden rechtlichen Voraussetzungen verwiesen. Die Idee von Drug Checking ist es, Drogen auf deren Inhaltsstoffe und Reinheitsgrad zu überprüfen. Damit sind in illegalisierten Drogen auch hochriskante Substanzen nachweisbar, die zu Notfällen oder gar Todesfällen führen können. Entsprechende Warnmeldungen können per Web schnell verbreitet werden. Drug Checking sollte für jeden User von Ecstasy, Cannabis oder anderen Substanzen möglich sein. In anderen europäischen Ländern hat sich das statistische Instrument Drug Checking als gesundheitsfördernde Maßnahme für drogengebrauchende Menschen bereits etabliert. Beispiele für eine gute Zusammenarbeit zwischen Stadt und Szeneprojekten sind Zürich und Wien.

Untätigkeit der Regierung und die Folgen

Schon im Januar 2007 informierte der Deutsche Hanf Verband die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die drogen- und gesundheitspolitischen SprecherInnen der Parteien im Bundestag über gestrecktes Cannabis. Wahrscheinlich hätten die Vergiftungen verhindert bzw. in ihrem Ausmaß eingeschränkt werden können, wenn das Bundesgesundheitsministerium die Warnungen des Hanfverbandes ernst genommen hätte. Stattdessen stellte das Ministerium offiziell klar, dass es sich nicht mit gefährlichen Streckmitteln in Marihuana befassen will. Das Bundeskriminalamt (BKA) prüft Cannabisproben grundsätzlich nicht auf Streckmittel. Nachdem die Bundesdrogenbeauftragte viel zu spät eine (kleine) Warnung auf ihrer bei Usern kaum bekannten Internetseite platziert hat, war der einzige Rat, der den CannabiskonsumentInnen mit auf den Weg gegeben wurde: Dann kifft halt nicht! So ist auch auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit Folgendes zu lesen: „…vertritt auch die Bundesregierung die Auffassung, dass eine geeignete Strategie, die gesundheitlichen Risiken des Konsums von verunreinigtem Cannabis zu vermeiden, darin besteht, auf den Konsum von Cannabis überhaupt zu verzichten.“ Viele der CannabiskonsumentInnen in Leipzig hätten durch Drug-Checking und ein funktionierendes Frühwarnsystem vor Gesundheitsschäden bewahrt werden können. Das Paradigma „Abstinenz von illegalen Substanzen“ ist Grundlage aller drogenpolitischen Entscheidungen. Schadensminimierende Maßnahmen und die Vermittlung von Safer-Use-Botschaften werden noch immer mit der Verherrlichung von Drogenkonsum gleichgesetzt. Laut vielen VertreterInnen der Gesundheitspolitik käme eine Warnung vor verunreinigten Substanzen, einer Verharmlosung der Gefahren von Drogenkonsum gleich. Sabine Bätzing unterstützt daher auch die Antwort der Bundesregierung in der kleinen Anfrage vom Juni 2007 (Bundestagsdrucksache 16/5583) „Die Verunreinigungen von Cannabis zu einem besonderen Bestandteil präventiver Maßnahmen zu machen, wäre ein falsches Signal. Damit könnte der Eindruck erweckt werden, dass nicht-verunreinigtes Cannabis ohne Gefahr für die Gesundheit konsumiert werden könnte.“ Aus unserer Arbeit wissen wir, dass sich KonsumentInnen illegalisierter Substanzen durchaus über Risiken und Nebenwirkungen, die mit dem Konsum verbunden sein können, informieren und natürlich daran interessiert sind, diese zu minimieren. Die Möglichkeit, dass Gras mit Blei gestreckt ist, stellt jedoch für KonsumentInnen ein unvorhersehbares, nicht einzuschätzendes Risiko dar. Die eventuellen Gesundheitsschädigungen, die durch den Konsum von Cannabis bedingt sein können, stehen in keinem Verhältnis zu den schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden, die durch eine Bleivergiftung hervorgerufen werden. Die Argumentation, dass User allein durch die Entscheidung, eine illegalisierte Substanz zu konsumieren, jegliches Recht auf Gesundheitsfürsorge verlieren, ist in höchstem Maße menschenverachtend.

Forderung: Drug-Checking

Bundesweit werden noch immer extreme Gesundheitsgefährdungen drogenkonsumierender Menschen durch politische (Nicht-)Entscheidungen billigend in Kauf genommen. Es ist höchste Zeit, dass sich die bundesdeutsche Drogenpolitik endlich an der Realität orientiert und der Gesundheit der KonsumentInnen den höchsten Stellenwert einräumt! Wir fordern deshalb die Schaffung von Rahmenbedingungen für Drug-Checking! Solange es KonsumentInnen nicht möglich ist, sich im Rahmen eines Drug-Checking-Programmes über Art und Menge der Inhaltsstoffe von Substanzen zu informieren, müssen wir auch weiterhin damit rechnen, dass Menschen durch unbeabsichtigte Überdosierung oder toxische Beimengungen gesundheitliche Schäden erleiden oder sterben.

Leipzig, den 6. April 2008 Drug Scouts – ein Projekt des Suchtzentrum Leipzig GmbH