So war die Hanfparade 2008 - Die Polizei, die Presse und die Drogen
Am 02.08.2008 fand zum 12. Mal in Berlin die Hanfparade statt. An der Demonstration für die Legalisierung von Cannabis nahmen rund 1.500 Menschen teil. Die Veranstalter sind mit dem Ergebnis des einzigen deutschen Pro-Cannabis-Events zufrieden, dabei stahl ihnen ein JuLi beinahe die Show.
Typisches Hanfparadewetter mag sich der eine oder andere Teilnehmer gedacht haben, als er am ersten Samstag im August in den wolkenverhangenen Himmel der Hauptstadt blickte. Berlin, der traditionelle Austragungsort der größten und inzwischen leider einzigen regelmäßigen Demonstration für die Hanflegalisierung in Deutschland, zeigte sich am zweiten August nicht gerade von seiner vielbesungenen Sonnenseite. Bindfäden gleich fiel der Regen in den Morgenstunden, doch rechtzeitig mit dem Eintreffen der Paradewagen zu Füßen des Fernsehturms auf dem Alexanderplatz hatten die Wettergötter ein Einsehen und ließen erste Sonnenstrahlen auf den klatschnassen Asphalt fallen.
Polizisten durchsuchen normale Touristen
Lange bevor die ersten Demobesucher sich am Startort der Hanfparade einfanden, hatte die Polizei den Fernsehturm bereits "unter Kontrolle gebracht" und begann damit, harmlose Touristen spüren zu lassen, was es bedeutet, im ach so liberalen Berlin zur falschen Zeit am falschen Ort für einen Kiffer gehalten zu werden. Mit bemerkenswerter Ausdauer leerten die Beamten der 22. Berliner Polizeihundertschaft Handtaschen und Rucksäcke der Leute, die eigentlich Berlin nur mal von oben sehen wollten.
Derweil wurde nebenan fieberhaft an den beiden Paradewagen gearbeitet. Was zu Beginn noch wie ein übergroßes Puzzle wirkte, verwandelte sich beobachtet von den nach und nach eintrudelnden Paradeteilnehmern in eine Wagendeko und mehrere Transparente. "Hanf!" stand da zu lesen oder "Mein Freund der Dealer".
Natürlich fehlte auch das Motto der Hanfparade 2008 "Jugendschutz, Verbraucherschutz, Legalisierung" nicht unter den Motiven.
Die Grünen forderten an ihrem Wagen gar ein "Besseres Hanfklima" und wollen mit der vielseitig einsetzbaren Nutzpflanze die Erderwärmung bremsen.
Kurz nach 13:00 Uhr waren die Wagen bereit und die Hanfparade 2008 konnte beginnen. Leider hatten sich zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als 300 Hanffreunde durch die massiven Polizeikontrollen gewagt und so befürchteten manche schon, dass die viele Arbeit des OrgaTeams umsonst gewesen sein könnte.
Ist Gott ein Hanffreund?
Den Auftakt machte Volker Beck, der Bundestagsabgeordneter sowie erster Parlamentarischer Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen ist. Er warnte in seiner Rede davor, die Gefahren zu dramatisieren, die von übermäßigem Cannabiskonsum ausgehen und erklärte das Strafrecht als Mittel der Drogenkontrolle für gescheitert.
Obwohl er sich ein "Gebt das Hanf frei" nicht verkneifen wollte, ist es doch dank Hans-Christian Ströbele und Stephan Raab zum inoffiziellen Legalisierungsmotto der Grünen geworden, gelang es Beck, neue Argumentationswege zu gehen.
So bot er seinen Bundestagskollegen von CDU und CSU an, einmal gemeinsam die Bibel zu studieren. Im "Buch der Bücher", so Volker Beck, stehe, dass Gott nach Vollendung der Welt auf sein Werk blickte Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut.
(Mose 1:31) Das Cannabis böse ist, steht hingegen nirgends in der Bibel!
so Beck weiter.
Diesen Gedanken griff Hans Cousto vom Verein Eve & Rave Berlin auf, als er das Mikrofon von Beck übernahm. Er forderte von den Teilnehmern, den Kampf für Rauschautonomie nicht nur am Tag der Hanfparade zu führen. Stattdessen sollten sich alle an einer Legalisierung interessierten darum bemühen, die Stimmung in der Bevölkerung zugunsten von Cannabis zu wandeln. Gerade Andersdenkende müssen Ziel der alltäglichen Aufklärungsarbeit sein
, so Hans Cousto.
Derart frisch motiviert setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung. Kaum hatten die Wagen den "Absperrgürtel" der Polizei hinter sich gelassen, hörte man nicht nur die Veranstalter aufatmen. Mit jedem zurückgelegten Meter wuchs die Hanfparade um einige Teilnehmer, so dass beim ersten Halt vor der Humboldt-Universität schon knapp 1.000 Menschen den Rednern lauschten.
Rede des JuLi-Chefs führt zu Eklat
Vor der traditionsreichsten Hochschule Berlins ergriff Mischa Hecker, Vorsitzender der Berliner Jungen Liberalen, das Wort. Was er sagte, sollte am nächsten Tag die Titelseiten der Springerpresse zieren und nicht zuletzt in Kifferkreisen für gehörige Unruhe sorgen.
Hecker rief die Politik in seiner Rede dazu auf, Entscheidungen über den Drogenkonsum oder auch den Freitod den freien, mündigen Bürgen selbst zu überlassen
. Wer den Schwarzmarkt schwächen und die organisierte Kriminalität bekämpfen wolle, müsse auch über die Legalisierung harter Drogen wie Kokain reden
.
Diese provokante Forderung des Jungliberalen erzeugte, dass erwartbare empörte Sommerloch-Echo. Die BZ, Berlins Variante der Bild, und andere Tageszeitungen aus dem Axel-Springer-Verlag titelten am Tag danach FDP-Jugend will harte Drogen legalisieren
oder Gebt das Kokain frei
.
Auch in der Hanfszene, allen voran im Forum der Hanfburg, entbrannte ein zum Teil heftig geführter Streit über die Rede Mischa Heckers. Vielfach wurde kritisiert, dass die Hanfparade der falsche Ort für die Forderung nach einer Kokainfreigabe sei und dass die Einbeziehung "anderer Rauschmittel" potentielle Mitdemonstranten abschrecke. Nur wenn sich die Hanfparade stärker von den Konsumenten "harter Drogen" abgrenze, würde es demnach gelingen, zukünftig wieder mehr Hanffreunde zu einer Teilnahme zu bewegen.
Manch einer sah die Hanfparade durch Heckers Kokainforderung gar für fremde Zwecke missbraucht und forderte die Veranstalter auf, in Zukunft die Reden im Voraus zu sichten und Sprechern zur Not auch mal den Mikrofonstecker zu ziehen.
Das OrgaTeam wiederum argumentiert damit, dass es die Spielregeln einer Demokratie nicht gestatten, Redebeiträge zu zensieren oder bestimmte Themen zu verbieten. Es verweist darauf, dass die Veranstalter alle Beteiligten, seien sie Redner, Wagenbetreiber oder Teilnehmer, bitten, sich wo möglich auf das Thema Cannabis zu beschränken. Mehr könne man kaum tun.
Einigkeit bestand hingegen beim Wunsch, "schlechte Presse" über die Hanfparade, also solche, die sich nicht mit der Cannabisfreigabe beschäftigt, in Zukunft möglichst zu vermeiden. Mit welchen Mitteln "Ausreißer" wie die Rede des Jungliberalen und die damit einhergehende Stigmatisierung der Hanfparadenbesucher als "Drogenfreaks" verhindert werden können, ist jedoch unklar.
Vor Ort konnte der Streit nicht geklärt werden. Schließlich wollte man noch ein paar Kilometer hinter sich bringen. Zunächst folgte die Hanfparade dabei der Strasse "Unter den Linden" und bog dann in die Friedrichstrasse ab.
Die ganze Zeit bewegten sich die Paradeteilnehmer unter den staunenden Augen unzähliger Berlinbesucher. Die Teilnehmer ließen sich nicht zweimal bitten und begannen lautstark Forderungen wie "Freiheit allen Hanfgefangenen" zu skandieren.
Einige wollten wohl nachträglich den martialischen Auftritt der Polizei begründen, die den Demozug teilweise mit Spalier gehenden Beamten begleitete und fortwährend potentielle Straftäter filmte, und so schallte unter anderem der Ruf "Hanf für alle - Sonst gibt's Krawalle" durch die wohl teuerste Flaniermeile der Stadt.
Zukunft der Hanfpolitik vor historischer Kulisse
Eine Verschnaufpause für die beanspruchten Kehlen der Sprechchorbeteiligten bot die Zwischenkundgebung am Checkpoint Charlie. Tibor Harrach, Mitglied bei Bündnis 90/ Die Grünen und Vorstand des Eve & Rave e.V. Berlin, ging in seiner Rede auf die historische Bedeutung dieses Ortes ein, der wie kaum ein anderer für die überwundene Teilung der Stadt während des kalten Krieges steht. Noch heute besuchen jährlich hunderttausende das Postenhäuschen an der ehemaligen Sektorengrenze oder informieren sich im Mauermuseum über Geschichte und Opfer der innerdeutschen Grenze.
Tibor Harrach erinnerte die Anwesenden daran, dass vor 20 Jahren niemand geglaubt habe, dass die Mauer fallen würde. Die Teilung Deutschlands sei damals so normal und unveränderlich erschienen, wie heutzutage die Drogenprohibition. Er selbst habe keinen Zweifel daran, dass wir in 20 Jahren auf das Hanfverbot mit ähnlichem Unverständnis zurückblicken werden, wie junge Menschen dies heute angesichts der Geschichte der Berliner Mauer tun.
Auch das Betäubungsmittelgesetz wird fallen. Es ist nur eine Frage der Zeit!
so Harrach.
Julia Seeliger, die im Anschluss das Wort ergriff, wagte ebenfalls einen Ausblick in die Zukunft. Sie beschrieb den Teilnehmern ihre Vorstellungen eines legalen Hanfmarkts. Demnach solle Haschisch und Marihuana in speziellen Fachgeschäften verkauft werden. Das Personal in diesen Läden solle besondere Schulungen erhalten und staatlichen Kontrollen unterliegen.
Mehr Realismus in der Drogenpolitik ist angesagt!
erklärte das Mitglied des Grünen Parteirats. Das politische Ziel "Rauschabstinenz" sei ebenso weltfremd, wie Forderungen nach Sex-Verzicht. Und da sind wir in Deutschland zum Glück schon lange drüber hinweg!
Polizeieinsatz führt zum Abbruch der Hanfparade
Nun war es Zeit, das letzte Teilstück der Hanfparade 2008 in Angriff zu nehmen. Am Bundesfinanzministerium und dem Bundesrat vorbei ging es zum Potsdamer Platz. Dort erwartete die Paradebesucher eine "Open Air"-Version des Berliner Hanf Museums und Organisationen wie die Grüne Hilfe warben an Ständen um Unterstützung.
Leider machte die schlechte finanzielle und personelle Ausstattung der Hanfparade eine große Abschlussveranstaltung wie in frühen Jahren unmöglich und so bemühten sich lediglich die beiden Paradewagen darum, die Teilnehmer mit Musik und Reden zu unterhalten. In Kombination mit der äußerst unfreundlich auftretenden Polizei führte dies dazu, dass viele der rund 1.500 Teilnehmer, die mit der Hanfparade den Potsdamer Platz erreichten, die Abschlusskundgebung fluchtartig verliessen. Zusehens leerte sich der Platz.
Wer geblieben war, konnte sich an Reden von u.a. Joachim Biermanski (Grüne Hilfe Netzwerk e.V.), Theo Pütz (Verein für Drogenpolitik e.V.), Jan Ludewig (ENCOD) und Rolf Ebbinghaus (Hanf Museum Berlin) erfreuen. Beiträge der ÜberPartei Deutschlands und des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung gaben zudem die Möglichkeit, "über den Tellerrand" der Legalisierung hinaus zu blicken.
Politische Reden und Musik sollten sich eigentlich noch bis in den Abend abwechseln, doch die Polizei zwang die Veranstalter dazu, ihre Pläne zu ändern.
Gegen 18:00 Uhr hatte die Polizei (anscheinend) damit begonnen, systematisch all jene aus der Menge zu greifen, bei denen sie illegale Betäubungsmittel vermutete. Zu den so entstandenen 23 Anzeigen wegen des Besitzes von Drogen kamen unzählige Platzverweise. Schon die Dokumentation einer Verhaftung reichte den Beamten mitunter aus, um Teilnehmer von der Demonstration zu entfernen.
Besonders perfide war die Strategie der Polizei, jene zu verschonen, die offensichtlich stark angetrunken waren.
Da die "Nüchternen" immer weniger wurden und gleichzeitig die Betrunkenen immer betrunkener, machte die Schlusskundgebung nach und nach den Eindruck einer Bierorgie. Als dann noch einzelne "Alkohol, Alkohol, Alkohol" brüllten, hatten die Veranstalter keine andere Wahl mehr.
Um die verbliebenen Teilnehmer vor der Polizei zu schützen und nicht Anlaß zu weiteren unschönen Schlagzeilen zu bieten, brach Versammlungsleiter Martin Steldinger die Hanfparade 2008 kurz vor 20:00 Uhr ab.
Veranstalter ziehen positives Resümee
Trotz des unangenehmen und unerwarteten Ende zieht das OrgaTeam eine positive Bilanz der Hanfparade 2008. Lassen wir sie einfach selbst zu Wort kommen.
Rollo: Es wird wieder mehr! - Steffen: Gegen schlechte Presse hilft nur rege Beteiligung. - Hans: Akustisches Multitasking führt zu Stress und dort wo das Klanggemisch kaum noch zu unterscheiden war, haben sich die Alkis niedergelassen und gesoffen bis zum geht nicht mehr. Demgegenüber ist kein Kiffer unangenehm aufgefallen. - Julia: Dieses Jahr hatten wir richtig schöne Musik! - Hannes: Nächstes Mal mehr. Aufgeben tun andere! - Pida: You cops help the fuck drug mafia. Wake up! Toxic hemp. Politics are evil. - Andreas: Ich bin mit den Teilnehmerzahlen zufrieden und denke, mit etwas Mühe von uns wird es nächstes Jahr noch besser. - Martin: War ganz ok soweit. Bis auf das Ende. - Koshka: War erfolgreicher als erwartet. Aber im nächsten Jahr fangen wir alles 6 Monate früher an.