Hanfparade >> Ziele & Motto >> Was Freunde fordern >> Die Wiener Erklärung

Die Wiener Erklärung von 2010

Die Wiener Erklärung (engl. Vienna Declaration) plädiert für eine Drogenpolitik auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Sie wurde im Juli 2010 auf der XVIII. Internationalen AIDS-Konferenz (AIDS 2010) in Wien (Österreich) offiziell veröffentlicht. Die Erklärung wurde von einem Team internationaler Fachleute verfasst und von verschiedenen weltweit führenden wissenschaftlichen Gremien aus den Bereichen HIV und Drogenpolitik initiiert: der Internationalen AIDS-Gesellschaft, dem Internationalen Zentrum für Wissenschaft in der Drogenpolitik (ICSDP) sowie dem BC Centre for Excellence in HIV/AIDS.

Die zentrale Aussage ist, dass repressive Maßnahmen durch Polizei und Justiz nicht nur die Probleme für Drogennutzer verschärfen, sondern auch die Aids-Epidemie weiter anfachen. Der Krieg gegen Drogen (War on Drugs) bedeutet Gewalt, steigende Kriminalitätsraten, negative gesundheitliche und soziale Konsequenzen sowie die Destabilisierung ganzer Staaten, und er verschlingt Milliarden an Dollars und Euros. Trotzdem gibt es noch keinen Beweis, dass die Repression den Drogenkonsum oder die Versorgung mit Drogen reduziert. Im Gegenteil: Die Beweise für die negativen Auswirkungen des Krieges gegen Drogen sind unbestreitbar. Studien zeigen, dass ein liberalerer Umgang mit Drogen und (heute oftmals noch illegale) Spritzentausch-Programme wirksame Bausteine in der Eindämmung von HIV sind.

Die Hanfparade und der Verein JaKiS e.V. unterstützen die Wiener Erklärung und haben sie offiziell mitunterzeichnet.

Der Text der Wiener Erklärung

Die Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen trägt zur Ausbreitung der HIV-Epidemie bei und hat äußerst negative gesundheitliche und soziale Folgen nach sich gezogen. Hier ist eine umfassende strategische Neuorientierung erforderlich.

Als Reaktion auf die gesundheitlichen und sozialen Schäden durch illegale Drogen wurde unter dem Dach der Vereinten Nationen eine breit angelegte internationale Drogenverbotspolitik entwickelt.1 Dank jahrzehntelanger Forschung ist eine umfassende Einschätzung der Auswirkungen des globalen „War on Drugs“ möglich. Nun, da sich tausende Menschen anlässlich der XVIII. Internationalen AIDS-Konferenz in Wien versammeln, fordert die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft eine Anerkennung der Grenzen und schädlichen Auswirkungen von Drogenverboten sowie eine Reform der Drogenpolitik, die zum Ziel hat, Barrieren für eine effektive HIV-Prävention, -Therapie und -Versorgung zu beseitigen.

Mittlerweile ist zweifelsfrei bewiesen, dass es den Strafverfolgungsbehörden nicht gelungen ist, die Verfügbarkeit illegaler Drogen an Orten, wo eine entsprechende Nachfrage existiert, zu unterbinden.2, 3 Nationale und internationale Drogenüberwachungssysteme zeigten über die letzten Jahrzehnte hinweg eine allgemeine Tendenz sinkender Preise und zunehmender Reinheit von Drogen – und dies trotz massiver Investitionen in die Strafverfolgung bei der Drogenbekämpfung.3, 4

Darüber hinaus gibt es keine Belege dafür, dass härtere Strafverfolgungsmaßnahmen den Drogenkonsum spürbar senken.5 Ferner zeigen die Daten eindeutig, dass auch die Zahl der Länder, in denen Menschen illegale Drogen injizieren, wächst, wobei zunehmend Frauen und Kinder betroffen sind.6 Außerhalb von den subsaharischen afrikanischen Ländern geht ungefähr jeder dritte neue Fall von HIV auf den Konsum injizierter Drogen zurück.7, 8 In einigen der Gegenden mit der derzeit schnellsten HIV-Ausbreitung wie z.B. Osteuropa und Zentralasien kann die HIV-Prävalenz bis zu 70 % der injizierenden Drogenkonsumenten betragen. Stellenweise fallen sogar mehr als 80% aller HIV-Fälle in diese Gruppe.8

Angesichts dieser erdrückenden Beweislage, die zeigt, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen in der Drogenbekämpfung ihre erklärten Ziele nicht erreicht hat, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die schädlichen Folgen dieses Scheiterns zur Kenntnis genommen und entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden. Beispiele für die schädlichen Folgen sind:


Leider werden Belege dafür, dass die Drogenverbotspolitik ihre erklärten Ziele verfehlt hat, sowie für die äußerst negativen Folgen dieser Strategie oftmals durch diejenigen geleugnet, die ein persönliches Interesse daran haben, den Status quo aufrechtzuerhalten.25 Dies hat zu Verwirrung in der Öffentlichkeit geführt und unzählige Menschenleben gefordert. Regierungen und internationale Organisationen sind ethisch und rechtlich dazu verpflichtet, auf diese Krise zu reagieren, und müssen sich um alternative evidenzbasierte Strategien bemühen, die effektiv die schädlichen Auswirkungen von Drogen reduzieren können, ohne ihrerseits neue Schäden nach sich zu ziehen. Wir, die Unterzeichner, fordern Regierungen und internationale Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen, dazu auf:

  • eine transparente Überprüfung der Wirksamkeit der derzeitigen Drogenpolitik durchzuführen.
  • einen wissenschaftlich fundierten gesundheitspolitischen Ansatz umzusetzen und zu evaluieren, der den individuellen und gemeinschaftlichen Schäden durch illegalen Drogenkonsum wirksam begegnet.
  • Drogenkonsumenten zu entkriminalisieren, mehr Möglichkeiten evidenzbasierter Behandlung von Drogenabhängigkeit zu schaffen sowie erfolglose Behandlungszentren zu schließen, in denen Drogenabhängige zwangstherapiert werden und die gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstoßen.26
  • die Finanzierung für die Umsetzung des umfassenden Pakets von HIV-Interventionen aus dem Zielsetzungshandbuch von WHO, UNODC und UNAIDS eindeutig zu befürworten und auszuweiten.27
  • die betroffenen Kommunen sinnvoll in die Entwicklung, Überwachung und Durchführung von Dienstleistungen und politischen Maßnahmen, die das Leben der Menschen vor Ort beeinflussen, einzubinden.

Des weiteren fordern wir den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf, dringend Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass das System der Vereinten Nationen, einschließlich des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes, mit einer Stimme spricht, um die Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten und die Durchführung von evidenzbasierten Ansätzen der Drogenkontrolle zu unterstützen.28

Die Drogenpolitik auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen, wird den Drogenkonsum oder die Probleme, die durch injizierenden Drogenkonsum entstehen, nicht beseitigen. Aber eine Neuausrichtung der Drogenpolitik in Richtung evidenzbasierter Ansätze, die die Menschenrechte respektieren, schützen und erfüllen, hat das Potenzial, Schäden, die durch die gegenwärtige Politik entstehen, zu verringern und würde die Umleitung großer finanzieller Ressourcen dorthin ermöglichen, wo sie am meisten gebraucht werden: zur Durchführung und Evaluierung evidenzbasierter Prävention, Kontrolle, Behandlung und Maßnahmen zur Schadensminimierung.

Picture


REFERENCES
1. William B McAllister. Drug diplomacy in the twentieth century: an international history. Routledge, New York, 2000.
2. Reuter P. Ten years after the United Nations General Assembly Special Session (UNGASS): assessing drug problems, policies and reform proposals. Addiction 2009;104:510-7.
3. United States Office of National Drug Control Policy. The Price and Purity of Illicit Drugs: 1981 through the Second Quarter of 2003. Executive Office of the President; Washington, DC, 2004.
4. World Drug Report 2005. Vienna: United Nations Office on Drugs and Crime; 2005.
5. Degenhardt L, Chiu W-T, Sampson N, et al. Toward a global view of alcohol, tobacco, cannabis, and cocaine use: Findings from the WHO World Mental Health Surveys. PLOS Medicine 2008;5:1053-67.
6. Mathers BM, Degenhardt L, Phillips B, et al. Global epidemiology of injecting drug use and HIV among people who inject drugs: A systematic review. Lancet 2008;372:1733-45.
7. Wolfe D, Malinowska-Sempruch K. Illicit drug policies and the global HIV epidemic: Effects of UN and national government approaches. New York: Open Society Institute; 2004.
8. 2008 Report on the global AIDS epidemic. The Joint United Nations Programme on HIV/AIDS; Geneva, 2008.
9. Lurie P, Drucker E. An opportunity lost: HIV infections associated with lack of a national needle-exchange programme in the USA. Lancet 1997;349:604.
10. Rhodes T, Lowndes C, Judd A, et al. Explosive spread and high prevalence of HIV infection among injecting drug users in Togliatti City, Russia. AIDS 2002;16:F25.
11. Taylor A, Goldberg D, Emslie J, et al. Outbreak of HIV infection in a Scottish prison. British Medical Journal 1995;310:289.
12. Sarang A, Rhodes T, Platt L, et al. Drug injecting and syringe use in the HIV risk environment of Russian penitentiary institutions: qualitative study. Addiction 2006;101:1787.
13. Jurgens R, Ball A, Verster A. Interventions to reduce HIV transmission related to injecting drug use in prison. Lancet Infectious Disease 2009;9:57-66.
14. Davis C, Burris S, Metzger D, Becher J, Lynch K. Effects of an intensive street-level police intervention on syringe exchange program utilization: Philadelphia, Pennsylvania. American Journal of Public Health 2005;95:233.
15. Bluthenthal RN, Kral AH, Lorvick J, Watters JK. Impact of law enforcement on syringe exchange programs: A look at Oakland and San Francisco. Medical Anthropology 1997;18:61.
16. Rhodes T, Mikhailova L, Sarang A, et al. Situational factors influencing drug injecting, risk reduction and syringe exchange in Togliatti City, Russian Federation: a qualitative study of micro risk environment. Social Science & Medicine 2003;57:39.
17. Fellner J, Vinck P. Targeting blacks: Drug law enforcement and race in the United States. New York: Human Rights Watch; 2008.
18. Drucker E. Population impact under New York's Rockefeller drug laws: An analysis of life years lost. Journal of Urban Health 2002;79:434-44.
19. Warren J, Gelb A, Horowitz J, Riordan J. One in 100: Behind bars in America 2008. The Pew Center on the States Washington, DC: The Pew Charitable Trusts 2008.
20. Rhodes T, Singer M, Bourgois P, Friedman SR, Strathdee SA. The social structural production of HIV risk among injecting drug users. Social Science & Medicine 2005;61:1026.
21. Ahern J, Stuber J, Galea S. Stigma, discrimination and the health of illicit drug users. Drug and Alcohol Dependence 2007;88:188.
22. Elliott R, Csete J, Palepu A, Kerr T. Reason and rights in global drug control policy. Canadian Medical Association Journal 2005;172:655-6.
23. Edwards G, Babor T, Darke S, et al. Drug trafficking: time to abolish the death penalty. Addiction 2009;104:3.
24. The National Centre on Addiction and Substance Abuse at Columbia University (2001). Shoveling up: The impact of substance abuse on State budgets.
25. Wood E, Montaner JS, Kerr T. Illicit drug addiction, infectious disease spread, and the need for an evidence-based response. Lancet Infectious Diseases 2008;8:142-3.
26. Klag S, O'Callaghan F, Creed P. The use of legal coercion in the treatment of substance abusers: An overview and critical analysis of thirty years of research. Substance Use & Misuse 2005;40:1777.
27. WHO, UNODC, UNAIDS 2009. Technical Guide for countries to set targets for universal access to HIV prevention, treatment and care for injection drug users.
28. Wood E, Kerr T. Could a United Nations organisation lead to a worsening of drug-related harms? Drug and Alcohol Review 2010;29:99-100.


Hanfparade >> Ziele & Motto >> Was Freunde fordern >> Die Wiener Erklärung